NAV-Landestag-Gieseke-Rede-Teaser

Liebe Kolleginnen und Kollegen, verehrte Gäste,

ich darf Sie ganz herzlich begrüßen zu unserem diesjährigen Landestag in Braunschweig. Es ist ein besonderer Landestag – insofern als dass er an zwei Orten stattfindet.
Wenn ich mich in diesem Lichthof umsehe - noch mit den Klängen der Violine und des Pianos im Ohr -, dann muss ich sagen: „Das ist ein sehr stimmungsvoller Ort für die Eröffnung unseres Landestages." Dass wir hier zu Gast sein dürfen, verdanken wir der Direktorin des Städtischen Museums, Frau Dr. Hollberg.

Wir freuen uns sehr, Frau Dr. Hollberg, dass Sie uns nicht nur in unserer räumlichen Notlage geholfen haben, sondern uns mit diesem Ambiente auch einen einmaligen Landestag bescheren. Ich danke Ihnen sehr dafür und auch, dass Sie bei der Eröffnung selbst anwesend sind und gleich einige Worte zur Begrüßung sprechen werden, gemeinsam mit Herrn Thamm van Balen, dem zweiten Gastgeber des heutigen Tages, dem Schulleiter des Wilhelm-Gymnasiums, in dem nach der Mittagspause unser Fortbildungsangebot in Form der altbekannten Arbeitskreise stattfinden wird.

Vielen Dank an Sie, Herr Thamm van Balen, dass Sie uns für den heutigen Nachmittag Ihre Schule zur Verfügung stellen und auch in der Vorbereitung und Planung so kooperativ mitgewirkt haben. Wir sind mit unserem Landestag gerne nach Braunschweig gekommen, denn – so ist es Tradition im NAV – wir wollen damit anerkennen, was Sie und Ihre Schule in den vergangenen Jahren für die „Alten Sprachen" getan haben.

Ihre Schule hat im Rahmen eines großen Wahlangebotes für die Mittelstufe Griechisch als Unterrichtsfach auch in den Zeiten von G8 erhalten. Außerdem gehört das Wilhelm-Gymnasium zu den Schulen, die an einer Profilierung des früh beginnenden Lateinunterrichts arbeiten, um sein sprachbildendes Potenzial gezielt im Jahrgang 5 nutzbar zu machen als Basisqualifikation für den gymnasialen Unterricht überhaupt.

Schon an dieser Stelle möchte ich aber auch ganz besonders allen denjenigen danken, die sich für das Gelingen dieser Großveranstaltung engagiert haben und noch engagieren werden. Ich fange an bei der Fachgruppe „Alte Sprachen", die rund um unseren Vorstandskollegen Herrn Conrad und den Fachobmann am Wilhelm-Gymnasium, Herrn Duwe, im Vorfeld mit den Detailplanungen für einen reibungslosen Ablauf gesorgt hat.

Und auch den Schülerinnen und Schülern, die uns heute schon von der Ankunft am Bahnhof bis nachher zum Abbau den ganzen Tag hilfreich zur Seite stehen, oder die im Café oder mit ihrem musikalischen Talent dafür sorgen, dass wir einen rundum gelungenen Tag erleben, gebührt unser Dank. Ebenfalls sage ich all den Kolleginnen und Kollegen Danke, die für die Arbeitskreise interessante und aktuelle Themen vorbereitet haben und uns nachher – leider für jeden nur in einer Auswahl – vorstellen werden. Interessant ist auch das Thema unseres heutigen Vortrags am Vormittag, das Herr Prof. Dr. Gehrke mit scharfem Blick für Fächerübergriff und Aktualität ausgewählt hat. Dafür und überhaupt für Ihre Bereitschaft, heute zu uns zu sprechen, danke ich Ihnen, lieber Herr Gehrke, sehr.

Als Gäste unserer Veranstaltung darf ich zunächst Herrn Audritz, den Vorsitzenden des Philologenverbandes herzlich begrüßen und schon jetzt für seine Grußworte danken. Nicht weniger herzlich möchte ich Frau Busse willkommen heißen, die heute in Vertretung von Herrn Stein für das Kultusministerium anwesend ist. Ich freue mich, Frau Busse, dass Sie auch in diesem Jahr wieder zu uns gekommen sind und so den Dialog zwischen Ministerium und Altphilologenverband auch in großer Runde fortführen.

Absagen musste leider der Präsident der Landesschulbehörde, Herr Dempwolf. Doch darf ich für die Landesschulbehörde von der Regionalabteilung Braunschweig Herrn Diomba und von der Regionalabteilung Hannover Herrn Dr. Stock begrüßen.

Unsere Ehrenmitglieder Herr Dr. Gieseking und Herr Dr. Jarecki sind ebenfalls anwesend. Herzlich willkommen. Besonders traurig stimmt mich, dass mein langjähriger Vorgänger im Amt, Herr Burghard Gieseler wegen eines Bandscheibenvorfalls leider kurzfristig absagen musste. Wir wünschen ihm von dieser Stelle aus baldige Genesung.

Leider ist seitens der Stadt Brauschweig aufgrund anderer Verpflichtungen kein Vertreter zugegen. Auch die bildungspolitischen Sprecher der Landtagsfraktionen sind aufgrund der heutigen Plenarsitzung verhindert. Von der Vorsitzenden des Deutschen Altphilologenverbandes, Frau Prof. Dr. Vogt darf ich Ihnen herzliche Grüße übermitteln.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die letzten Monate waren für den Vorstand davon geprägt, die aktuellen Entwicklungen der niedersächsischen Kultuspolitik genau zu verfolgen und im Interesse unserer Fächer durch Stellungnahmen zu begleiten. Sie haben das auf unserer Homepage verfolgen können. Einige Aspekte möchte ich dennoch besonders betonen:

Grundsätzlich hat sich der NAV positiv zur Schulreform geäußert, v.a. wegen der Rückkehr zu G9.
In den vergangenen Jahren ist der Fremdsprachenunterricht fast flächendeckend reduziert worden auf die erste und zweite Fremdsprache. Eine dritte Fremdsprache muteten sich Schülerinnen und Schüler nur in Ausnahmefällen zu. Schuld daran waren G8 und die dichte Sprachenfolge von zweiter und dritter Fremdsprache in den Jahrgängen 6 und 7. Mit der Rückkehr zu G9 erwartet der NAV eine Wiederbelebung der dritten Fremdsprache und nicht zuletzt eine Steigerung der Anwahlzahlen von Latein.
Das neue Schulgesetz gibt jedoch an vielen Stellen auch Anlass zur Sorge: Ich greife einmal den Aspekt der Schülerbeförderung heraus. Klammheimlich ist im Verlaufe der Anhörungsphase ein Passus gestrichen worden, in dem auch für eine Ersatzschule außerhalb des Schulbezirkes, die aufgrund einer besonderen pädagogischen Bedeutung eines Bildungsgangs ausgewählt wird, eine Erstattung von Fahrtkosten für die Schüler vorgesehen war. Wir sehen diese Streichung aus drei Gründen mit großer Sorge:
Der Wunsch, eine Profilierung einzelner Gymnasien vorzunehmen, scheint bei der Landesregierung nicht vorzuliegen. Im Gegenteil: Vereinheitlichung ist gewünscht. Damit ist das Prinzip der Freiheit des Elternwillens, der sonst von der Landesregierung gerne bemüht wird, etwa um die Abschaffung der Schullaufbahnempfehlung zu begründen, grundsätzlich in Frage gestellt.

Zweitens sind bestehende Profile – und dazu gehört nicht nur Griechisch, sondern auch u.a. das musische Profil – in ihrem Fortbestand gefährdet, wenn der Wunsch eines solchen Bildungsgangs künftig nicht mehr zu einer Erstattung der Fahrtkosten für Schüler aus anderen Schulbezirken führt. In der Folge ist daher drittens der von der Landesregierung oft beschworene Grundsatz der Bildungsgerechtigkeit ad absurdum geführt, wenn jetzt nur noch die Kinder Griechisch lernen dürfen, deren Eltern bereit sind, die Fahrtkosten selbst zu tragen! Hier ist eine Nachbesserung im Schulgesetz nötig. Eine Petition ist in Vorbereitung.
Auch zum Erlass zur Arbeit am Gymnasium und zu den Stundentafeln hat der NAV Stellung genommen. Leider sind unsere Einwände gegen die Stundenreduzierung der zweiten Fremdsprache in der Profilstundentafel ungehört geblieben. Überhaupt führt eine unübersehbare Aufwertung der MINT-Fächer dazu, dass andere Fachbereiche Kürzungen oder in mehreren Schuljahren in Folge Dreistündigkeit hinnehmen müssen. Das war natürlich nicht in unserem Sinne, ist aber politischer Wille der Mehrheitsfraktion. – Auf der anderen Seite ist der Profilunterricht für Sprachen nun in allen drei Jahrgängen der Mittelstufe vierstündig. Dies werten wir als Signal, dass die Qualität der Latinumsabschlüsse dem Ministerium am Herzen liegt.

Die noch andauernde Diskussion um die Belegungsverpflichtung von zwei Fremdsprachen auch in der künftigen Einführungsphase (Jahrgang 11) ist für uns von besonderer Bedeutung.
Mit G9 eröffnet sich für die Sprachfächer die Chance, auch wieder ältere und damit reifere Schülerinnen und Schüler zu unterrichten. Die persönlichkeitsbildende Kraft der Fächer kann sich insofern wirksamer entfalten, da nun in der Oberstufe anspruchsvollere Originaltexte lesbar und interpretierbar sein werden. Wer nach dem Ziel von Sprachenlernen fragt, darf nicht alleine nach Kommunikationsfähigkeit fragen oder die absolvierten Jahre zählen, sondern muss – und das nehmen alle Sprachen für sich in Anspruch – auch die Bildungswirksamkeit der Literatur mit berücksichtigen. Griechisch und Latein ermöglichen die Beschäftigung mit europäischen Grundtexten von weltliterarischem Rang. Das Sprachenlernen auf dem Weg in die Oberstufe zu minimieren bedeutet auch die Entliterarisierung unserer Schulen voranzutreiben. Dem hat sich der NAV entschieden entgegengestellt und sich sehr frühzeitig für die Beibehaltung von zwei verpflichtenden Fremdsprachen in der Einführungsphase ausgesprochen. Wir hoffen, liebe Frau Busse, dass Sie uns heute mit einer positiven Nachricht zu diesem Thema erfreuen können.

Und noch ein Punkt: Die Bedeutung von Schulfahrten hat die Landesregierung während des letzten Schuljahres immer wieder betont, oft in Zusammenhang mit einer Schuldzuweisung in Richtung der Lehrerschaft. Mit dem neuen Fahrtenerlass, der nun seit dem 1.11. in Kraft ist, hätte die Chance bestanden, hier endgültig für Klarheit zu sorgen.

Hinsichtlich der Erstattung ist zwar ein erster Schritt in die richtige Richtung unternommen worden, aber den Mut, Klassenfahrten als verbindliche Schulveranstaltung zu deklarieren und damit ihre Durchführbarkeit zu garantieren, hatte die Landesregierung nicht. Stattdessen führt die unglaubliche Aufstockung des Schulbudgets um ganze 3% dazu, dass der neue Fahrtenerlass zum Fahrtenverhinderungserlass wird.

Die Konsequenz dieses Erlasses wird sein, dass sich an den Schulen nun auch eine Konkurrenzsituation unter den Fahrtenangeboten ergibt und die Gefahr besteht, dass aufgrund fehlender Finanzierbarkeit teurere Schulfahrten vom Programm gestrichen werden. Und das sind genau unsere Fahrten, die Studienfahrten.
Für uns ist der Fahrtenerlass daher noch nicht fertig. In engem Schulterschluss mit Philologenverband, Elternverbänden und der Landtagsopposition fordern wir hier Nachbesserungen.

Lassen Sie mich auch einige Arbeitsschwerpunkte des neuen Vorstandes aus der internen Verbandsarbeit vorstellen:
Wir haben gleich zu Jahresbeginn die Entscheidung getroffen, unsere Arbeit im Lande deutlich transparenter zu machen. In modernen Zeiten ist für ein solches Vorhaben die Homepage das zentrale Instrumentarium. Wir haben unseren Internetauftritt überarbeitet und erweitert. Für Latein und Griechisch gibt es zwei eigene Seiten, die den öffentlichen Servicebereich darstellen sollen.

Ferner sind erstmalig die Mitteilungen nicht mehr in Papierform, sondern über die Homepage veröffentlicht worden. Sie sind damit künftig überall lesbar, recherchierbar und ggf. durch die Downloadoption auch archivierbar.

Außerdem gewinnen wir, abgesehen davon, dass wir papiersparend arbeiten, durch die Einsparung von Druck- und v. a. Portokosten finanzielle Möglichkeiten, die wir gezielt im Sinne unserer Satzung einsetzen können. Zwei Schwerpunkte ergeben sich: Investition in gehaltvolle und hochwertige Fortbildungen, die die aktuelle fachdidaktische und fachwissenschaftliche Diskussion aufgreifen – zentral - hier beim Landestag -, aber auch dezentral in den Bezirken.

Zweitens geht es uns darum, in vielfacher Hinsicht Werbung für unsere Fächer zu machen und die gesellschaftliche Akzeptanz von Latein zurückzugewinnen. In Zeiten, in denen überall Latein als Studienvoraussetzung überflüssig zu sein scheint, ist es wichtig, den Wert unserer Fächer für die eigene Sprach- und Persönlichkeitsbildung wieder allen bekannt zu machen. Eine Kampagne ist unsere Flaggen-Kampagne, auf die Sie heute im Wilhelm-Gymnasium noch stoßen werden. Als Plakat und als Flyer soll damit landesweit auf den Bildungswert und die Lateinangebote in Niedersachsen aufmerksam gemacht werden. 10.000 Flyer liegen an der Anmeldung für Sie bereit. Bedienen Sie sich bitte und streuen Sie die Flyer großräumig: in Ihrer Schule, in Ihrem Sportverein, in Ihrer Stadtteil-Bücherei, in Ihrem Supermarkt!

Liebe Kolleginnen und Kollegen, der aktuelle Statistikbericht des Kultusministeriums verrät, dass im Schuljahr 2014/15 im Land noch 37,4 % aller Gymnasiasten in der Mittelstufe Latein lernten - dazu kamen nochmal 8,6 % der Schülerinnen und Schüler an IGS und KGS. Für die Oberstufe ergab sich, dass mehr als 7.000 Schülerinnen und Schüler in Kursen unterschiedlichster Art Latein lernten.

Im Vergleich mit den anderen Wahlsprachen belegt Latein derzeit einen guten zweiten Platz und es ist damit nur folgerichtig, dass Niedersachen in dem Erlass, der die Arbeit der Mittelstufe am Gymnasium regelt, für alle mehr als zweizügigen Gymnasien Latein als Sprachangebot in Klasse 6 verlangt.
An der Etablierung von Latein bzw. der Ausweitung des Lateinangebotes in Gesamtschulen und Oberschulen ist noch zu arbeiten. Aber auch für das Gymnasium gilt es, nicht nur den statistischen Status-Quo zu bewahren, sondern dafür zu sorgen, dass auch in den einzelnen Schulen die Anwahlzahlen wieder steigen und Latein nicht entweder in „Kleinstkursen" stattfindet oder die Latein-Lerngruppen mit 50% „Zweit- oder Drittwahl-Schülern" aufgefüllt werden.

Nicht zuletzt ist eine Steigerung der Lateinschüler in Niedersachsen auch deswegen nötig, um unseren jungen Kolleginnen und Kollegen, die in der Ausbildung an der Universität oder dem Studienseminar sind, eine Chance zu geben, unsere phantastischen Fächer auch unterrichten zu können. Denn obwohl das Ministerium Latein auch zum 2. Halbjahr wieder unter den Bedarfsfächern mit bevorzugter Einstellung in den Vorbereitungsdienst aufgeführt hat, sind schon jetzt in Zeiten größten Lehrermangels die Einstellungschancen schlecht. Der NAV hat recherchiert: An unseren 11 Ausbildungsstandorten in Niedersachsen sind derzeit 120 Lehrerinnen und Lehrer mit Latein als Unterrichtsfach im Vorbereitungsdienst, 44 davon machen zum 28.2.2016 ihr Examen. Für alle Absolventen stehen in Niedersachsen derzeit ganze acht Stellen zur Verfügung, oft mit konkreten Zweitfachwünschen.

Wir appellieren an das Ministerium, für verlässliche Einstellungschancen zu sorgen oder aufzuhören durch die Ankündigung, Latein sei gegenwärtig Bedarfsfach, jungen Kolleginnen und Kollegen Sand in die Augen zu streuen. Das schädigt Niedersachsens Ruf als Ausbildungsstandort in nicht unerheblicher Weise.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte schließen, indem ich den Blick nun auch auf uns selbst richte.

Aus guten Gründen versuchen wir, so gut es geht, den Standard in unseren Fächern zu halten. Es widerstrebt uns, etwas als gut zu bezeichnen, was eigentlich gar nicht gut ist. Denn Ziel des Latein- und Griechischunterrichts ist immer noch die Lektürefähigkeit der Schülerinnen und Schüler und zwar die Fähigkeit, Originallektüre zu lesen. Um dieses Ziel zu erreichen, müssen wir unseren Schülern Vokabeln und Grammatik als Anwendungswissen verfügbar machen, d.h. ohne „Lernen" ist für die Lernenden ein Lateinunterricht nicht möglich und ohne „Lernen lassen" ist für uns Unterrichtende ein Lateinunterricht nicht möglich. Oftmals machen wir genau damit Werbung, dass Schüler durch den Lateinunterricht lernen zu lernen.

Wenn wir in unserem täglichen Lateinunterricht immer wieder mehr Defizite als gesichertes Wissen vorzufinden meinen, dann liegt dies sicher teils an der fehlenden Lernbereitschaft der Schüler, teils an fehlender Sprachfähigkeit bzw. fehlendem Zugang zu der Sprache, teils aber auch an uns selbst, die wir uns zu schnell in unser Schicksal fügen oder die wir im trubeligen Unterrichtsalltag versäumen, für unsere Schüler die Lernaufgaben zu organisieren.

Ich glaube nicht, dass heutige Schülerinnen und Schüler grundsätzlich mit „Lernen" überfordert sind. Sie sind häufig überfordert, sich zu organisieren und die fürs Lernen notwendige Zeit in ihrem Alltag freizuschaufeln. Darin müssen wir sie unterstützen. Wenn das Kerncurriculum sagt, Schülerinnen und Schüler wiederholen Wörter und Wendungen selbständig und eigenverantwortlich, dann ist das eher ein Wunschtraum. Meines Erachtens ist eine jahrelang begleitete Reorganisation und auch Abprüfung nötig, um für Nachhaltigkeit und verfügbares Anwendungswissen zu sorgen. „Lernen" ist übrigens auch wieder im Wortschatz der Landesregierung vorhanden. Die Broschüre zum neuen G9 wirbt mit dem Slogan „Mehr Zeit zum Leben und Lernen". Das war unsere Auffassung schon immer!

Dadurch, dass wir unseren Schülern wieder mehr Lernarbeit abverlangen können, werden sich aber nicht alle Dilemmata des gegenwärtigen Lateinunterrichts aufheben lassen. Gerade im Bereich der Überprüfungen ist auch Modernisierung nötig, und zwar eine, die nicht mit unserer individuellen Kreativität bei der Auslegung der Vorgaben arbeitet, sondern eine, die durch die Vorgaben abgesichert ist. Diese Modernisierung ist in der Diskussion, und zwar inzwischen bundesweit. Denn ohne eine Veränderung der durch die KMK festgelegten Vereinbarungen über die EPA sind Veränderungen in den Prüfungsformaten der Sekundarstufe I und II nicht zielorientiert. Der NAV ist mit großem Engagement beteiligt an dieser Diskussion, denn es geht um eine Gratwanderung. Es gibt ein paar Grundsätze, die wir nicht infrage stellen wollen.

Das Proprium unserer Fächer bleibt die Übersetzung ins Deutsche. Die Übersetzung macht Latein und Griechisch zu Fächern des Aufgabenfeldes A und sichert ihre Existenz als Schulfach.
Übersetzungsarbeit legitimiert sich aber nicht aus sich heraus. Sie dokumentiert die Genauigkeit des Textverständnisses und stellt die Basis für die Interpretationsarbeit dar. Somit ist auch eine Interpretation, die nicht am übersetzten Text erfolgt, sondern an einem deutschen oder zweisprachigen Text geschieht und damit die Übersetzung zu einer isolierten Aufgabe macht, für uns nicht vorstellbar. Möglichkeiten der Öffnung können darin bestehen, dass der übersetzte Text zweisprachig fortgeführt und mit in die Textinterpretation einbezogen wird.

Neben der Interpretation sollten auch andere Aufgabenformate, die die Schüler als Vorarbeit für eine Übersetzung aus dem Unterricht kennen, in vorerschließende Aufgaben (inhaltlich wie grammatisch) einbezogen werden.

Auch über die frühere Nutzung von Hilfsmitteln wie Wörterbücher oder gar Formentabellen wird man nachdenken müssen. Andere Fächer nutzen schon längst Formelsammlung und Taschenrechner. Die filigrane Übersetzungsarbeit wird durch eine kompetente Nutzung von Hilfsmitteln nur befördert.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie sehen, es gibt viel zu tun – für uns alle. An Ihrem Engagement liegt es, dass Latein nicht nur als Angebotsfach im Erlass festgeschrieben ist, sondern dass Latein als Fach ein Bildungsangebot macht, das unsere Schülerinnen und Schüler nachhaltig prägt. Bleiben Sie dabei, lassen Sie sich nicht entmutigen durch mal den einen oder anderen Rückschlag. Wir müssen an einem Strang ziehen, um Qualität und einen breiten Fortbestand unserer Fächer bis zum Abiturniveau zu erhalten.
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen eine interessante Veranstaltung mit neuen Anregungen und guten Gesprächen.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.