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Liebe Kolleginnen und Kollegen, verehrte Gäste,

herzlich Willkommen in Aurich zu unserem Landestag. Ich hoffe, Sie hatten alle eine angenehme Anreise. Einige von Ihnen, das sehe ich, kommen von weit her und sind heute schon früh aufgestanden.

Es war von uns eine bewusste Entscheidung, in diesem Jahr mit unserem Landestag nach Aurich zu kommen, und zwar aus gleich mehreren Gründen. Zum einen sind Sie es, die Kolleginnen und Kollegen aus dieser Region, die sonst zu unseren Veranstaltungen oft weite Wege in Kauf nehmen müssen und nun auch einmal den Landestag vor der Haustür haben sollten. Zum anderen ist das Ulricianum eines der größten, wenn nicht das größte Gymnasium Niedersachsens, das damit auch ein wichtiger Standort für den Unterricht in den klassischen Sprachen ist. Latein und auch Griechisch genießen am Ulricianum besonderen Schutz und sind aus dem Schulprofil nicht wegzudenken. Seit vielen Jahren gehören immer wieder Schülerinnen und Schüler bei unserem Landeswettbewerb Rerum Antiquarum Certamen zu den Teilnehmern, die es bis in das Auswahlkolloquium schaffen. In diesem Sommer hat sich eine Schülerin dieser Schule qualifiziert für die Aufnahme in die Studienstiftung. Aber auch hinter den Kulissen wird das RAC vom Ulricianum durch fleißige Unterstützung mitgetragen. 

Wir sind daher sehr dankbar, dass Sie, Herr Schröder und Herr Musolf, sich auch in der Schulleitung zu den alten Sprachen bekennen und uns heute nach Aurich eingeladen haben. 
Die schöne Aula, der beeindruckende musikalische Empfang und die perfekte Organisation zeigen uns sofort, wie willkommen wir hier an Ihrer Schule sind. Ganz herzlichen Dank an die Gastgeber, das Organisationsteam, alle Helfer und natürlich auch die Musiker für die Einladung und die Gestaltung des heutigen Tages.

Als Gäste unserer Veranstaltung darf ich von der Landesschulbehörde Herrn Dr. Stock begrüßen und schon jetzt für seine Grußworte danken. Herr Dr. Stock wird uns auch die Grüße aus dem Kultusministerium übermitteln, da terminliche Gründe eine Teilnahme an unserem Landestag heute nicht möglich gemacht haben. Auch die bildungspolitischen Sprecher der Landtagsfraktionen sind aufgrund der heutigen Plenarsitzung verhindert. Leider mussten auch der Vorsitzende des Philologenverbandes Niedersachsens und der Bürgermeister der Stadt Aurich absagen. Alle wünschen unserem Landestag einen guten Verlauf und erfolgreiche inhaltliche Arbeit.

Unser Landestag beginnt nach den Grußworten mit einem Vortrag, der eine der Kernkompetenzen unserer Fächer beleuchtet, das Ringen um das Verständnis der Texte, die wir lesen. Der heutige Fokus liegt dabei auf dem poetischen Sprechen: Was ist poetisches Sprechen? - „Kommunikation und Weltbezug in der griechischen und römischen Dichtung“
Ich darf dazu Herrn Prof. Dr. Kloss aus Heidelberg begrüßen und Ihnen, Herr Kloss, sehr für den weiten Weg und den Vortrag danken. Es ist ein Vortrag, der sowohl mit griechischen als auch mit lateinischen Texten arbeitet, aber auch – und das ist für uns besonders interessant – eine Positionierung zur Spracharbeit an der Schule enthält. 
Ebenfalls sage ich all den Kolleginnen und Kollegen Danke, die für die Arbeitskreise interessante und aktuelle Themen vorbereitet haben und uns nachher – leider für jeden nur in einer Auswahl – vorstellen werden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, alle, die wir hier versammelt sind, teilen die Freude daran, Texte, manchmal auch einzelne Sätze zu enträtseln, die sich uns beim ersten Hinsehen oder flüchtigen Lesen nicht gleich erschließen. Uns macht es Freude, die lateinische oder griechische Sprachformung zu analysieren und eine möglichst treffende Übersetzung ins Deutsche zu suchen. Damit ist für uns die Übersetzung bereits Interpretation bzw. ein Teil davon. Zu den Texten gehört aber auch das Wissen um die Antike, die kulturhistorische Einordnung spielt für unsere Fächer eine besondere Rolle. Einen nicht alltäglichen, aber trotzdem wichtigen Aspekt dieser Einordnung möchte ich kurz ansprechen. Es sind die Studienfahrten, die in unseren Fächern noch in besonderer Weise halten, was ihr Name verspricht: sehen, erleben, erfahren all der Dinge, die im Schulalltag oft nur auf Papier begegnen. Für die klassischen Sprachen sind die Studienfahrten bedeutsam. Anders als bei den gesprochenen Sprachen, wo im Fokus der Austausch oder die Kommunikation auf sprachlicher Ebene steht, wird in unseren Fächern die historisch-ethische Kommunikation in besonderer Weise befördert. Gerade jetzt im Herbst waren einige von uns wieder in Italien oder Griechenland tätig als Kulturboten oder schlicht Augenöffner für unsere Schüler. Nehmen wir Kleobis und Biton; diese Vorbilder für tugendhaftes Handeln, die seit früher Zeit, in archaischer Schönheit geschaffen, die einstigen Besucher Delphis erfreuten und zugleich mahnten. Wie beeindruckend ist es, diese Statuen im Museum von Delphi zu bewundern. Wir bringen sie in Zusammenhang mit der Herodot-Lektüre: Solon nimmt sie als Beispiel für glückliche Menschen. Kann man ihnen ihr Glück ansehen? Sie lächeln. Sie mussten doch erschöpft sein. 45 Stadien weit sollen sie ihre Mutter, die Hera-Priesterin, von Argos zum Heraion gezogen haben im Wagen als Ersatz für die Ochsen. Aber was sind 45 Stadien? Ist das anstrengend? Zu einem späteren Zeitpunkt der Reise kommen wir darauf zurück: der Blick vom argivischen Heraion über die Argolis bis hin zur Burgfestung der Stadt hilft, die Geschichte auch räumlich zu erfassen, Fragen zu beantworten und sich einzufühlen. 

Das sind Erlebnisse von meiner letzten Studienfahrt und zugleich eine Begründung für ihren Wert. Sie alle wissen, dass durch die aktuellen Regelungen zur Fahrtkostenerstattung und die fehlende finanzielle Aufstockung des Fahrtenbudgets gerade diese teureren Fahrten bedroht sind und in vielen Schulen zur Diskussion stehen. Der NAV macht sich stark für eine Budget-Aufstockung für Studien- und Austauschfahrten. Auch ist die aktuelle Regelung, die die Nutzung von Freiplätzen verbietet, zu hinterfragen. Dazu werden wir den Schulterschluss suchen mit den modernen Fremdsprachen, denn für alle Fremdsprachen gilt, dass Reisen ins Ausland die schulische Spracharbeit festigend ergänzen. 

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich komme noch einmal auf die akribische Spracharbeit zurück. Uns macht sie Freude, vielen Schülern auch, aber längst nicht allen. 

Bei den jungen Schülerinnen und Schülern ist das aufrichtige Interesse an den Texten über die Welt der Römer oftmals die Motivation für den Lateinunterricht. Unsere tägliche Aufgabe ist es, dieses Interesse an den Textinhalten aufrecht zu erhalten, aber auch Interesse zu wecken für die Spracharbeit, für Dekodierung und Rekodierung. Gucken wir in die Mittelstufe, so stellen wir häufig fest, dass die Spracharbeit zäh wird, für viele ist die Mühe, sich den Textinhalt zu erarbeiten, zu groß. Wir helfen uns, indem wir das Rätseln und Enträtseln im Unterricht auf viele Schultern verteilen. Vor der Übersetzung werden oftmals in großer Runde Beobachtungen gesammelt zum thematischen Inhalt, zur Semantik, zur sprachlichen Formung und zur Grammatik, es werden erste Verstehenshypothesen und gedankliche Assoziationen zu Vorwissen geäußert.

Im Unterricht ist das normal und dieses Vorgehen bringt unsere Schüler häufig auf die Spur, eine Übersetzung anfertigen zu können. - In Überprüfungen ist jedoch jeder auf sich allein gestellt. Das ist auch so vorgesehen, aber die Art der Überprüfung, die darf sich, ja sie soll sich am Unterricht orientieren. Und das gilt auch für die Aufgabenformate: Es ist wichtig, dass den Schülern, wenn sie mit der Übersetzungsaufgabe auf sich allein gestellt sind, zuvor die Augen geöffnet werden, so wie im Unterricht auch. Erkenntnisleitende Aufgaben gehören dementsprechend vor die Übersetzungsaufgabe. Dies ist im gültigen KC bereits so vorgeschlagen und wird bei der aktuellen Überarbeitung der KC noch stärker in den Blick genommen, entsprechend den Tendenzen der fachdidaktischen Diskussion, die derzeit bundesweit geführt wird. Der NAV hat dort eine klare Position:

In der Konkurrenz zu Überprüfungen in anderen Fächern müssen die klassischen Sprachen bezüglich ihres eigenen Anspruchs an Überprüfungen vergleichbar bleiben. Gleichzeitig sollen unsere Schülerinnen und Schüler aber auch unter den gegenwärtigen schulischen Bedingungen dazu befähigt werden, weiterhin inhaltlich interessante und anspruchsvolle Texte bewältigen zu können. Dies macht es erforderlich, dass wir den Schülern dabei helfen, einen Zugang zu den Texten zu finden. Für unsere Fächer ist es wichtig, dass die Schüler am Ende der Mittelstufe Erfolge haben und sich zutrauen, lateinische oder griechische Texte enträtseln zu können.

Im aktuellen Statistikbericht des Kultusministeriums „Die niedersächsischen allgemein bildenden Schulen in Zahlen" werden auch die Schülerzahlen des Schuljahres 2015/16 präsentiert. Ich will gar nicht alles vortragen, sondern das Augenmerk auf die Oberstufenkurse richten und dabei Griechisch als Beispiel nehmen für eine Situation, die mancherorts auch auf Latein übertragbar ist:

In Niedersachsen haben im Schuljahr 2015/16 55 Schülerinnen und Schüler Griechisch-Unterricht auf erhöhtem Niveau gelernt, und zwar an sieben Schulstandorten im Land. Das ergibt im Schnitt knapp 8 Lerner pro Kurs. Nicht ganz anders sieht es beim Griechischunterricht auf grundlegendem Niveau aus: 63 Schülerinnen und Schüler lernten dort in zehn Kursen landesweit Griechisch, also 6,3 Lerner pro Kurs. Was ich Ihnen damit deutlich machen möchte ist nicht, dass sich nur ganz wenige Schülerinnen und Schüler in Niedersachsen den Genuss des Griechischunterrichts gönnen, sondern dass es zunehmend eine schulorganisatorische Meisterleistung wird, Griechischkurse einzurichten. Natürlich arbeiten Sie mit dem Trick des Übergriffs: Jahrgangsübergriff, Niveauübergriff oder auch ein Kurs für alle im Komplettübergriff. Solange eA- und gA-Kurse beide vier Stunden zu unterrichten sind, ist das unterrichtspraktisch auch zu bewältigen. Bei den anstehenden 3 und 5 Stunden wird der Niveauübergriff in Form der alten Huckepackkurse wieder unser ganzes unterrichtsorganisatorisches Talent erfordern. Wie gut hat es doch da Rheinland-Pfalz. Die Kultusadministration in diesem Bundesland garantiert für Griechisch - auch bei so kleinen Kursen, wie sie bei uns derzeit üblich sind - eine volle Lehrerversorgung, Übergriffe sind dort unnötig. Für Niedersachsen leider nur ein Wunschtraum! Die Folge ist, dass wir realistisch gesehen eine curriculare Organisation des altsprachlichen Oberstufenunterrichts benötigen, die Kurse im Übergriff auch weiterhin sinnvoll unterrichtbar macht.

Die Kolleginnen und Kollegen in den Kommissionen sind sich der Probleme bewusst und auch die Verordnung lässt den Raum dafür, dass für eA-Kurse nicht ein weiterer Autor als verpflichtende Ergänzung hinzugenommen werden muss. 

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe einige Punkte herausgegriffen, die uns in der aktuellen Bildungspolitik und bei der Positionierung unserer Fächer im wiederkehrenden neunjährigen Gymnasium beschäftigen. Unser heutiger Landestag möchte mit den Angeboten einen Beitrag leisten, Sie in die fachdidaktische Diskussion einzubeziehen. Ich bin sicher, Sie finden für den Nachmittag interessante Angebote und Anregungen.