Die Verordnung über die Gymnasiale Oberstufe (VO-GO) in der Fassung vom 12.8.2016 enthält neue Regelungen, die für die Schülerinnen und Schüler, die zum 1.8.2018 in die Einführungsphase (Jahrgang 11) eintreten, erstmals wirksam werden können.

Bezüglich der Fremdsprachenbelegungsverpflichtung in der Einführungsphase geht  es dabei um VO-GO § 8, Absätze 2 und 3.

VO-GO, § 8, Abs. 2, stellt den Regelfall dar: die Verpflichtung zur Belegung einer zweiten Fremdsprache im Jahrgang 11:

„Jede Schülerin und jeder Schüler muss am Unterricht in zwei Fremdsprachen teilnehmen, und zwar

  1. in einer fortgeführten Fremdsprache als 1., 2. oder 3. Pflicht- oder Wahlpflichtfremdsprache und 2. in einer weiteren Fremdsprache,die
  2. eine nicht bereits nach Nummer 1 gewählte fortgeführte Pflicht- oder Wahlpflichtfremdsprache,
  3. eine Wahlfremdsprache, wenn darin der Unterricht durchgehend besucht und am Ende des Schuljahrgangs vor Eintritt in die Einführungsphase mindestens die Note „ausreichend“ erreicht worden ist, oder
  4. eine Fremdsprache, mit der in der Einführungsphase neu begonnen wird, sein kann.“

Neuerdings ist es nach VO-GO, § 8, Abs. 3, aber für die Schulen möglich, durch Beschluss des Schulvorstandes statt der verpflichtenden zweiten Fremdsprache im Jahrgang 11 einen dreistündigen Wahlpflichtunterrichtanzubieten:

1Der Schulvorstand kann beschließen, dass die Schülerinnen und Schüler, die ab dem 6. Schuljahrgang durchgehend Unterricht in einer weiteren Fremdsprache besucht haben, am Unterricht in einer weiteren Fremdsprache abweichend von Absatz 2 nicht teilnehmen müssen, wenn sie am Unterricht in zwei Wahlpflichtfächern mit insgesamt drei Wochenstunden teilnehmen; die Möglichkeit der Teilnahme am Unterricht in einer weiteren Fremdsprache muss sichergestellt bleiben. 2Der Schulelternrat ist vor dieser Entscheidung zu hören (§ 96 Abs. 3 Satz 1 NSchG). 3Welche Fächer als Wahlpflichtfächer angeboten werden können und deren Zuordnung zu den in § 11 Abs. 1 Satz 1 genannten Aufgabenfeldern ergibt sich aus Anlage 1.“

Wieso ist der Abs. 3 überhaupt in die VO-GO aufgenommen worden?

Die Formulierung von § 8, Abs. 3, orientiert sich am bisherigen Verfahren der Gesamtschulen bezüglich der Fremdsprachenverpflichtungen in der Einführungsphase. Zunächst war in der zweiten  Anhörungsfassung  der  VO-GO  die  grundsätzliche  Aufgabe der  Verpflichtung  zur 2.Fremdsprache in der Einführungsphase vorgesehen. Aufgrund der massiven Proteste zahlreicher Bildungsverbände ist § 8, Abs. 2 unverändert geblieben, jedoch § 8, Abs. 3, als Option für die Gestaltung der Einführungsphase zusätzlich aufgenommen worden. Mit dieser kann-Bestimmung ist es den Gesamtschulen möglich, auf Wunsch auch weiterhin ihre Sekundarstufe II mit nur einer Fremdsprache zu konzipieren, den Gymnasien hingegen ist damit nicht verwehrt, die vorgesehene Verpflichtung zur zweiten Fremdsprache in Jahrgang 11 weiterhin zu realisieren.

Auch die Gymnasien beraten die Gestaltung der Einführungsphase ab 1.8.2018.

An etlichen Gymnasien im Lande hat die schulinterne Diskussion um die Gestaltung der Einführungsphase ab 1.8.2018 bereits begonnen. Erschreckenderweise wird  häufig  auch  an den Gymnasien von Schulleitungsseite die Aufhebung der Verpflichtung zur zweiten Fremdsprache und die Einführung eines Wahlpflichtangebotes  befürwortet.

Grundsätzliche Bedenken gegen die Aufhebung der Verpflichtung zur 2. Fremdsprache 

Sichere Sprachkompetenz ist im heutigen Europa und einer globalisierten Welt nötiger denn je. Es kann nicht im Interesse der Gymnasien liegen, einen Bereich der gymnasialen Bildung zu schwächen, der im Zuge eines mehr und mehr zusammenwachsenden Europa  und  im  Zeitalter der Globalisierung immer weiter an Bedeutung gewinnt. Im fremdsprachlichen Oberstufenunterricht wird nämlich nicht nur die Kommunikationsfähigkeit geschult, sondern darüber hinaus auch die interkulturelle Kompetenz vermittelt, die ein Verständnis und eine Akzeptanz anderer Länder und Kulturen schafft. Die klassischen Sprachen Latein und Altgriechisch leisten dazu einen wesentlichen Beitrag und fördern zudem ein Bewusstsein für unsere gemeinsame europäische Kulturtradition.

Chance, nicht nur zwei Sprachen, sondern besser auf der Basis mindestens einer alten Sprache zusätzlich zur Kommunikationssprache Englisch noch eine weitere (moderne) Sprache zu lernen.

Einer der wichtigsten Gründe für die begrüßenswerte Rückkehr zum 9-jährigen Gymnasium war die Tatsache, dass Niedersachsen durch die erhöhte Belastung der Schüler im 8-jährigen gymnasialen Bildungsgang einen großen Rückgang bei der Anwahl der dritten Fremdsprache zu verzeichnen hatte.

Wenn jetzt statt zum Erlernen von drei Fremdsprachen zu ermuntern sogar geplant wird, die Verpflichtung abzuschaffen, im Jahrgang 11 mindestens zwei Fremdsprachen zu belegen, so handelt es sich dabei um eine mit den Anforderungen  an  ein Leben in einer globalisierten  Welt und einem zusammenwachsenden Europa nicht zu vereinbarende Absenkung der Abituranforderungen - und dies vermutlich aus rein fiskalischen Gründen, nämlich um die für ein wirklich modernes Abitur mit intensiver Kenntnis moderner und antiker Literatur notwendigen Lehrerstunden nicht bezahlen zu müssen.

Negative Auswirkungen auf die Anwahl des sprachlichen Schwerpunkts sowie des gesell- schaftlichen Schwerpunkts und des Sport-Profils

Der sprachliche Schwerpunkt wird in der Qualifikationsphase erheblichen Schaden nehmen, wenn Schüler künftig die Einführungsphase mit nur einer Fremdsprache durchlaufen können. Denn nur mit zwei Fremdsprachen ist die Wahl des sprachlichen Schwerpunkts überhaupt möglich (s. VO-GO, Anlage 2 zu § 10.2 und  12.2).

Der Wegfall einer zweiten Fremdsprache in der Einführungsphase hat aber auch Auswirkungen auf den gesellschaftlichen Schwerpunkt. In diesem besteht die Wahl zwischen der Belegung einer zweiten Fremdsprache oder einer zweiten Naturwissenschaft für zwei Semester (s. VO-GO, Anlage 2 zu § 10.2 und 12.2). Diese Semesterergebnisse müssen auch in die Abiturwertung eingebracht werden. Beim Wegfall einer zweiten Fremdsprache in der Einführungsphase sind die Schüler im gesellschaftlichen Schwerpunkt also auf die Wahl einer zweiten Naturwissenschaft festgelegt. Erfahrungsgemäß ist das nicht  für jeden  Schüler das Richtige. Ähnliches gilt auch im sportlichen Schwerpunkt. (s. EB-VO-GO, 8.1 Schülerinnen und Schüler, die in der Einführungsphase nicht am Unterricht in einer zweiten Fremdsprache teilnehmen, sind darauf hinzuweisen, dass sie in der Qualifikationsphase den sprachlichen Schwerpunkt nicht wählen können und im gesellschaftswissenschaftlichen Schwerpunkt und im sportlichen Schwerpunkt eine weitere Fremdsprache als Ergänzungsfach nicht gewählt werden kann.)

Es besteht die Gefahr, dass v.a. dem sprachlichen Profil Schüler entzogen werden

Wenn Schülerinnen und Schüler sich vor der Einführungsphase vorschnell entscheiden, keine zweite Fremdsprache weiterhin zu belegen, besteht für sie bei der anstehenden Profilwahl für die Qualifikationsphase keine Möglichkeit mehr, sich für ein sprachliches Profil  zu  entscheiden. Aufgrund der vordergründigen Argumente zur „fehlenden Verwendbarkeit“  hätte ein Wegfall der Belegungsverpflichtung für die klassischen Sprachen katastrophale Folgen. Hier müsste um die Fortführung von Latein und Griechisch in der Sekundarstufe II gebangt werden. Da aber das Bildungspotenzial der alten Sprachen besonders auch in der intensiven Auseinandersetzung mit den antiken Autoren im Original liegt, gäbe es auch hier Einschränkungen in zentralen Aspekten der Bildung.

Das Latinum erhalten die Schülerinnen und Schüler erst am Ende der Einführungsphase.

Das Land Niedersachsen hält auch weiterhin an der Differenzierung der Latinumsabschlüsse fest. Das Kleine Latinum ist frühestens nach Jahrgang 10 zu erwerben. Die Anforderungen, die an den Universitäten in der Regel als qualifizierter Latein-Nachweis gestellt werden, entsprechen in Niedersachsen dem Latinum (vgl. KMK-Vereinbarung).

Das Latinum erhalten die Schülerinnen und Schüler frühestens am Ende der Einführungsphase. Es wäre also wenig ratsam, das Fach Latein (z. B. als zweite Fremdsprache) ein Jahr vor der Verleihung des Latinums abzuwählen.

Drohende Vereinheitlichung des Fremdsprachenangebots in der Sekundarstufe II

Es ist zu bezweifeln, dass künftig für die unterschiedlichen Kursformen der in der Schule angebotenen Sprachen jeweils noch hinreichend Anwahlen vorliegen werden, um Kurse in der Sek II fortzuführen – allenfalls im Jahrgangs- und ggf. auch Niveauübergriff bzw. nur auf gA. Zu befürchten ist, dass einzig in Englisch noch Kurse auf erhöhtem Niveau zustande kommen werden. Wenn die Schülerinnen und Schüler die anderen von der Schule angebotenen Sprachenangebote nutzen, entstehen – je nach Sprachenkonzeption an der Schule – vielen Sprachlerngruppen (z. B. Latein ab Jg. 6 und Latein ab Jg. 8 sowie Französisch ab Jg. 6 und Französisch ab Jg. 11 sowie Spanisch ab Jg. 8 und Griechisch ab Jg. 8), für  die  kaum  hinreichend Lehrerstunden zur Verfügung stehen werden - erst recht nicht, wenn die eingerichteten Kurse durch Abwahlen auch noch Schüler verlieren.

Statt „Allgemeiner Hochschulreife“ Einschränkungen in der Studierfähigkeit

Ohne Latinum (oder allgemein ohne Kenntnis von zwei Fremdsprachen) sind evtl. Einschränkungen im späteren Studium verbunden: z. B. sind im Geschichtsstudium häufig zum einen das Latinum und außerdem Kenntnisse in zwei modernen Fremdsprachen nachzuweisen.

Sinkende Lernmotivation bereits in Klasse 9 und 10 bei Abwahlmöglichkeit einer Fremdsprache nach Jahrgang 10

Wenn den Schülerinnen und Schülern künftig nach VO-GO, § 8, Abs. 3, die Verpflichtung erlassen wird, zwei Fremdsprachen in der Einführungsphase zu belegen, und sie stattdessen neben einer Fremdsprache zwei Wahlfächer belegen können, dann wählen sie damit ein versetzungsrelevantes „Hauptfach“ (Englisch, Französisch oder Latein ...) ab und  belegen dafür zwei zusätzliche „Nebenfächer“ im Umfang von zusammen 3 Wochenstunden. Diese angenehmere Aussicht könnte Schülerinnen und Schüler, wenn sie dazu tendieren, nur auf aktuelle Noten zu schauen, dazu verführen, sich vorschnell für die Abwahl  einer  lernintensiven Fremdsprache zu entscheiden – etwa schon im Verlaufe der 9. Klasse. Mit der Perspektive der Abwahl ist zu erwarten, dass sich der Lerneifer reduziert und die Arbeitshaltung verschlechtert.

Mehrsprachigkeit ist gefordert

Die gymnasiale Regel-Anforderung in § 8, Abs. 2, wird bekanntlich noch dadurch  unterstrichen, dass, wie gehabt, die Möglichkeit eröffnet wird, diese Fremdsprachenauflage neben einer weitergeführten Fremdsprache auch mit einer neu beginnenden Fremdsprache zu erfüllen, dass dies aber die Verpflichtung nach sich zieht, diese in 11 neu begonnene Fremdsprache bis zum Abitur durchgehend vierstündig zubetreiben.

Erneute Absenkung des gymnasialen Anspruchsniveaus / Destabilisierung des Gymnasiums

Die Abschaffung der Fremdsprachenverpflichtungen in der Einführungsphase stellt ein besonderes krasses Beispiel für die Senkung von Leistungsanforderungen im niedersächsischen Abitur dar. Die KMK-Vereinbarung zur Gestaltung der gymnasialen Oberstufe in der Sek. II sieht ja nicht ohne Grund vor: "In der Einführungsphase sind grundsätzlich zwei Fremdsprachen zu belegen." (7.3) Ein Abitur und damit bescheinigte Studierfähigkeit zu erwerben, setzt eben auch die Bereitschaft voraus, sich gewissen kognitiven Herausforderungen zu stellen.

Schulorganisatorische Schwierigkeiten

  • Beeinträchtigung vor allem für die Einrichtung (und Fortführung der 3. Fremdsprache)
  • Fehlende Fach-Curricula für die Wahlpflichtfächer in Jahrgang 11 - Probleme in Bezug auf Räumlichkeiten und personelle Ressourcen bei Einrichtung eines Wahlpflichtbereichs.
  • Einfacherer Stundenplan beim Festhalten an zwei Fremdsprachen (Planbarkeit, Leisten)
  • Fehlende Lehrerstunden für Wahl(pflicht)angebote